Geschrieben von niels
Datum: Dienstag, 05. Juni (05.06.2012)

Vorratsdatenspeicherung = Schutzlücke?
über Sinn, Zweck und Rechtmäßigkeit einer EU-Verordnung

Hilflose Polizei ohne Vorratsdatenspeicherung?

Nach Forderungen von EU-Kommission, CDU und CSU soll künftig nachvollziehbar werden, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden oder das Internet genutzt hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. In Verbindung mit anderen Daten soll auch die Internetnutzung nachvollziehbar werden. Hierzu sollen bei Internet- und Telco-Unternehmen enorme Datenhalden mit hochsensiblen Informationen aufgebaut werden.

Die angebliche "Schutzlücke" - das zeigt sogar eine Studie der EU, war, ist und wird nie eine - und so auch das Credo der gesamten Fachwelt. Und eine EU-interne Studie bestätigt die Unwirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung (die wir ja bekanntlich über ein Jahr lang hatten).

“Die umfangreiche europaweite Erhebung und Auswertung des MPI offenbart, daß die Stammtischparolen von der ‘Schutzlücke’ durch den Wegfall der anlaßlosen Telekommunikationsdatenspeicherung keine Faktenbasis haben”, faßte erst kürzlich CCC-Sprecher Frank Rieger in einer Stellungnahme die Ergebnisse der Studie zusammen.

Wer oder was soll hier also bespitzelt werden? Der Rückbau welcher Grundrechte steckt als eigentliches Ziel hinter der VDS? Wozu muss der Staat wissen wo ich mich vor 15 Jahren mit wem zum Kaffeklatsch getroffen, wo ich eingekauft, meinen Urlaub gemacht und mit wem ich mich politisch engagiert habe, in welchen sozialen Strukturen und Umfeldern ich mich bewege - ja wo ich mich über das letzte halbe Jahr überall bewegt habe? Die Geolokationsdaten - also wo ich mich, mein Handy wann entlang bewegt haben oder wo ich ins Internet gegangen bin, sind ja - was viele übersehen - wesentlicher Teil der "Vorratsdaten".

Innenministerin = schwarzes Schaaf?

Es ist schon erstaunlich, mit welch unsachlichem wie auch aggressivem Unmut die große Merheit der Journalisten heute (einen Tag nach der Innenministerkonferenz) eben der Justizministerin in der Rücken fallen, die einen Eid auf unser Grundgesetz geleistet hat und für diesen nun einmal mehr konsequent einsteht. Das Verfassungsgericht hat ja bereits festgestellt, das die VDS in der bisher vereinbarten Form aus verschiedenen Gründen rechtswidrig und inakzeptabel ist.

Bisher war diese nicht selten sogar persönlich herabwürdigende, vor allem aber unsachliche Argumentation hauptsächlich aus den Reihen der Innenminister zu hören. So befasst man sich inzwischen mit einem denkbaren "Lebensabend" der Justizministerin "am Tegernsee".

Inzwischen scheint die VDS den meisten Deutschen willkommen - wie auch der damit einhergehende Grundrechteabbau - stattdessen interessiert man sich heute für das Grundrecht auf einen Stehplatz im Fußballstadium...

Offenbar ist den Journalisten auch entgangen, wie die EU - angetrieben vom früheren Innenminister Schäuble - sozusagen "über die Bande" am deutschem Grundgesetz und Verfassungsgericht vorbei - über die EU nach Deutschland gebracht werden sollte. Das Deutschland sich heute der Strafsituation ausgesetzt sieht, ist Folge ebendieser höchst fragwürdigen Strategie. Nur stehen diese heute augenscheinlich nirgendwo in Kritik.

Dabei hätten sich die Journalisten schon früher und ausgiebig mit den Gegenargumenten auseinandersetzen können - davon hört man heute aber in nahezu keinem öffentlichen Medium:

Terrorismus, Mord und Totschlag?

Die beliebten Behauptung, die VDS sei nötig um schwerste Straftaten zu klären oder gar zu verhindern, ist Wunschdenken. Tatsächlich wurde bis dato - d.h. in der Zeit der aktiven VDS in Deutschland - keine einzige schwere Straftat mittels der VDS aufgeklärt.

Fakt ist auch, das das Umgehen der Datenspeicherung für Kriminelle - nicht nur organisierte - mit geringen Mitteln möglich ist wie auch nur geringe technische Fähigkeiten nötig sind. Es bleibt unwahrscheinlich, das Kriminelle hier künftig nicht einen Schachzug weiterziehen und die VDS schlichtweg umgehen - so wie sich selbst die meisten Chinesen inzwischen der staatlichen Internetkontrolle entziehen können wie tun.

Das ganze erinnert etwas an die damalige Debatte darüber, ob harte Verschlüsselung in Deutschland für den "Normalbürger" erlaubt sein dürfe. Die damaligen Gegner - wiederum die Innenminister und "Sicherheitsbehörden" sagten die digitale Anarchie vorraus. Es "könne doch nicht sein, das jemand seine Nachrichten oder Daten so verschlüsselt, das keine Behörde diese entschlüsseln könne". Die aber ist, wie wir heute alle wissen, ausgeblieben - harte Verschlüsselung ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken, die wesentiche Basis für den Fortschritt des Internets in Deutschland.

Die Kosten?

Für die Realisierung der VDS sollen bei Internet- und Telco-Unternehmen enorme Datenhalden mit hochsensiblen Informationen aufgebaut werden. Hierbei dürften wiederum enorme Kosten für die Unternehmen entstehen, die zum einen die Hard- und Software für die zentrale Sammlung, Speicherung wie Vorhaltung betreffen, ebenso aber auch die Absicherung dieser Datenhalden.

Aus gutem Grund verpflichtet das Datenschutzgesetz per Gebot zur Datensparsamkeit. Mit wachsenden Halden persönlichster Informationen wachsen erfahrungsgemäß auch die Begehrlichkeiten für diese - und keine IT kann 100%ige Sicherheit gewährleisten, zumal der Mensch das gewichtigste "Sicherheitsrisiko" darstellt. Kaum auszudenken, welche Risiken und Schäden dies für uns alle bedeutete, wenn ein solcher Datenbestand eines der großen Internet Provider den Weg in illegale Kreise fände...

Natürlich müssen die Unternehmen all die entstehenden Kosten an die Kunden weitergeben.


Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung in Zahlen und Statistiken

CCC veröffentlicht Max Planck Studie... ...zur Unwirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung - Fazit: "Vorratsdatenspeicherung hilft noch nicht einmal beim Enkel-Trick"

AK Vorratsdatenspeicherung umfassende Materialsammlung zum Thema Vorratsdatenspeicherung